Justiz stoppt Wahlkampf: Marine Le Pen schuldig gesprochen

Die Staatsanwaltschaft hatte für Le Pen fünf Jahre Haft, davon drei auf Bewährung, und eine Geldstrafe gefordert – noch ist das Strafmaß nicht festgelegt.

Aufsehen erregte die Forderung der Staatsanwaltschaft nach einem sofort geltenden Verbot, bei Wahlen anzutreten. Le Pen darf in diesem Fall nicht bei der Präsidentschaftswahl 2027 antreten. Eine mögliche Haftstrafe hingegen würde suspendiert, falls sie Berufung einlegt.

Das Gericht wirft ihr vor, Geld für parlamentarische Assistenten vom Europäischen Parlament teilweise oder ganz für Angestellte ihrer Partei ausgegeben zu haben. Insgesamt soll es um sieben Millionen Euro gehen. Le Pen weist alle Vorwürfe zurück.

Neben Le Pen sind acht weitere EU-Abgeordnete schuldig gesprochen worden. Über die Urteile werde einzeln berichtet, heißt es in französischen Medien. Wie Le Monde berichtet, sind auch die zwölf Mitangeklagten der Hehlerei schuldig gesprochen worden. Das Gericht schätzte den Gesamtschaden auf 2,9 Millionen Euro.

Salvini, Vorsitzender der rechtsgerichteten Lega, warf dem Pariser Gericht vor, mit dem Urteil die bekannte Ikone der äußersten Rechten gezielt aus dem politischen Leben Frankreichs ausschalten zu wollen. Er zog Vergleiche zu Gerichtsentscheidungen in Ländern wie Rumänien und erklärte: "Wir lassen uns nicht einschüchtern, wir machen weiter: Volle Fahrt voraus, meine Freundin!"

Die Verurteilung von Marine Le Pen zu vier Jahren Haft in Paris löste bei Ungarns Premier Viktor Orban eine sehr klare Reaktion aus: "Je suis Marine!"

Orban weiß, daß auch ihm ein derartiger Prozess irgendwann drohen könnte, wenn die jetzige Opposition mit ausreichend finanzieller Unterstützung doch wieder in Ungarn an die Macht kommen würde.

Wie Viktor Orban sehen viele Europäer in der Verurteilung von Marine Le Pen und den damit verbundenen Boykott ihres Antretens zur Präsidentschaftswahl als Muster: lässt sich die Justiz als Waffe des politischen Gegners mißbrauchen?

Keine Wahl hatte der rumänische Präsidentschaftskandidat Calin Georgescu: das rumänische Verfassungsgericht bestätigte am 11. März 2025 die Entscheidung der Wahlbehörde, seine Kandidatur für die im Mai geplante Wiederholungswahl abzulehnen. Der Rechts-Politiker hatte überraschend die erste Runde der Präsidentschaftswahl im November 2024 gewonnen. Diese Wahl wurde jedoch vom Verfassungsgericht annulliert, da Hinweise auf eine russische Einflussnahme vorlagen, von der Georgescu profitiert haben soll. Er wurde sogar kurzzeitig verhaftet.

Die nächste, der ein ähnliches Schicksal drohen könnte, ist die AfD-Chefin Alice Weidel: sollte ihre Partei in den Umfragen vor der CDU liegen, könnte auch ihr ein zermürbendes Ermittlungsverfahren samt jahrelangen hohen Anwaltskosten drohen – das Muster für diese Vorgangsweise würde ja bereits existieren.

Das aktuelle Urteil gegen Le Pen stärkt die zunehmend verbreitete Erzählung in der Trump-Regierung und unter ihren rechtspopulistischen Verbündeten in Europa, wonach liberale Eliten weltweit die Demokratie untergraben, indem sie die Justiz als Waffe gegen politische Rivalen einsetzen, die sie nicht an der Macht sehen wollen – ganz ähnlich, wie Donald Trump behauptet, selbst juristisch verfolgt worden zu sein, bevor er seine zweite Amtszeit gewann, schreibt nun das Wall Street Journal.

"Wenn die radikale Linke nicht durch demokratische Wahlen gewinnen kann, mißbraucht sie das Rechtssystem, um ihre Gegner ins Gefängnis zu bringen", schrieb Elon Musk auf X als Reaktion auf das französische Urteil. Und: "Das ist weltweit ihr Standardvorgehen."

Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Tammy Bruce, erklärte zum Urteil, es sei "bedenklich", Menschen vom politischen Prozess auszuschließen, und verwies auf die "aggressive und korrupte juristische Kriegsführung", die gegen Präsident Trump geführt werde.

Laut Camille Lons vom European Council on Foreign Relations greift das Urteil direkt in die transatlantische Debatte über Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und politische Legitimität ein. Trump habe wiederholt gesagt, ein Politiker, der im Interesse seines Landes handele, könne nicht als gesetzeswidrig gelten. Er und seine Unterstützer kritisieren regelmäßig Richter, die gegen ihn oder seine Regierung urteilen, und fordern, diese abzusetzen oder zu ersetzen.

"In den USA, wo JD Vance und Donald Trump regelmäßig von einer 'Demokratie durch Richter' sprechen, wird dieses Urteil wohl als weiterer Beweis für ein europäisches Übergreifen und den Verfall demokratischer Prinzipien gesehen", sagte Lons.

Konservative in den USA würden das Urteil gegen Le Pen vermutlich nutzen, um zu behaupten, daß europäische Eliten mit juristischen Mitteln die rechte Opposition unterdrücken.

Das Vorgehen gegen Le Pen von der Partei Rassemblement National (RN) folgt nur wenige Monate nach der Entscheidung rumänischer Gerichte, den Ausgang der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen wegen angeblicher russischer Einflussnahme auf die TikTok-Kampagne des rechtsnationalen Kandidaten Călin Georgescu zu annullieren. Die Wahlkommission untersagte ihm später die Teilnahme an den Neuwahlen im Mai. Georgescu bestritt jegliche Verbindungen zum Kreml und sprach von einer politischen Hexenjagd.

US-Vizepräsident JD Vance, ein scharfer Kritiker der Entscheidung gegen Georgescu, hat sich mittlerweile zum Hauptkritiker Europas innerhalb der Trump-Regierung entwickelt. Er warf den europäischen Regierungen vor, demokratische Grundwerte auszuhöhlen, indem sie unliebsame Stimmen ausschließen – etwa durch Einschränkung der Meinungsfreiheit oder, im Fall Deutschlands, durch eine sogenannte Brandmauer, die eine Zusammenarbeit mit der AfD verhindert, obwohl diese inzwischen zweitstärkste Kraft im Land ist.

"Demokratie beruht auf dem heiligen Prinzip, daß die Stimme des Volkes zählt. Es darf keine Brandmauern geben", sagte Vance in einer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar.

Viele etablierte europäische Politiker betonten, wie wichtig es sei, die Rechtsstaatlichkeit im Fall Le Pen zu wahren – und ein Großteil der Bevölkerung scheint das ähnlich zu sehen: laut einer Umfrage des Thinktanks Destin Commun im Jänner 2025 stimmten 59% der befragten Franzosen zu, daß die Anklage gegen Le Pen, inklusive möglichem Verbot, der "Verteidigung der Demokratie" diene.

Für manche ist das Urteil ein Beweis dafür, daß niemand über dem Gesetz steht, sagte Stefan Marschall, Professor für Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: "Rechtsstaatlichkeit kann ein wirtschaftliches Argument sein – sogar ein Wettbewerbsvorteil für Europa." Das vermittle Investoren die Sicherheit, daß ihre Rechte geschützt werden, selbst wenn sie mit einflussreichen Politikern aneinandergeraten.

Aber viele rechte Nationalisten in Europa sehen darin ein politisches Manöver. "Wer Angst vor dem Urteil der Wähler hat, findet Trost im Urteil der Gerichte", sagte Italiens Vizepremier Matteo Salvini.

Die Debatte, was die beste Form von Demokratie sei, ist so alt wie die Demokratie selbst. Die Gründerväter der USA schufen ein System aus checks and balances, um etwa Minderheiten vor der Tyrannei der Mehrheit zu schützen. Der Schutz der Rechtsstaatlichkeit diente zudem der Sicherung von individuellen Rechten, wie zum Beispiel dem Eigentum.

Die meisten europäischen Wähler akzeptieren, daß Gerichte die Macht von Politikern einschränken dürfen – besonders in Ländern wie Deutschland, Spanien oder Italien, die in der jüngeren Geschichte diktatorische Systeme erlebt haben.

Auch die Meinungsfreiheit ist in Europa zwar anerkannt, aber an Bedingungen geknüpft: in Frankreich, Deutschland und anderen Ländern sind Hassrede und bestimmte Symbole (z.B. das Hakenkreuz) verboten.

Der aktuelle Streit zwischen den USA und Europa erinnert an ähnliche Konflikte innerhalb Europas: in Ländern wie Polen und Ungarn versuchten populistische Regierungen unmittelbar nach der Machtübernahme, Einfluß auf die Justiz zu nehmen – und wurden dafür von anderen EU-Staaten scharf kritisiert.