Polen läßt Nord Stream-Verdächtigen frei – Ungarn tobt, Deutschland schweigt
Scharfe Worte aus Budapest: Ungarns Außenminister Péter Szijjártó nennt das Urteil "skandalös". Warschau feiere Terror auf europäische Infrastruktur. Wörtlich erklärte Szijjártó: "Laut Polen darf man in Europa Infrastruktur in die Luft jagen, wenn sie einem nicht gefällt. Damit hat man im Voraus die Erlaubnis für Terroranschläge in Europa erteilt. Polen hat nicht nur einen Terroristen freigelassen, sondern feiert ihn auch noch."
Es ist ein diplomatischer Eklat zwischen den einst engen Verbündeten – mitten in einer Zeit, in der Europa über seine Energieabhängigkeit nachdenkt.
Die Antwort aus Warschau ließ nicht lange auf sich warten. Außenminister Radoslaw Sikorski wies die Kritik umgehend zurück: "Nein, Péter. Wenn ein ausländischer Aggressor dein Land bombardiert, darfst du legitimerweise zurückschlagen, indem du seine Fähigkeit zur Kriegsfinanzierung sabotierst. Das nennt man Selbstverteidigung", schrieb Sikorski auf X (vormals Twitter).
Bemerkenswert: Bereits 2022 – kurz nach den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines – hatte Sikorski als EU-Abgeordneter auf derselben Plattform gepostet: "Thank you USA."
Dieser Satz sorgte weltweit für Aufsehen – und wurde vom russischen UN-Botschafter als vermeintlicher Beweis für amerikanische Beteiligung zitiert.
Im Mittelpunkt steht der Ukrainer Wolodymyr Zhuravlov, den Deutschland per Europäischem Haftbefehl suchte. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, an der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines im September 2022 beteiligt gewesen zu sein. Doch das polnische Gericht verweigerte am 17. Oktober die Auslieferung. Richter Dariusz Lubowski erklärte, ein Angriff auf feindliche Infrastruktur im Rahmen eines "gerechten, defensiven Krieges" könne "unter keinen Umständen eine Straftat" darstellen. "Dem Antrag der deutschen Behörden ist nicht stattzugeben", erklärt das Urteil. "Sie sind frei", sagte der Richter zu Zhuravlov – und ließ ihn ziehen.
Er kritisierte zudem die dürftige Informationslage aus Berlin: die deutschen Unterlagen "passen auf ein einziges A4-Blatt".
Zhuravlovs Verteidiger Tymoteusz Paprocki bezeichnete das Urteil als "eines der wichtigsten in der Geschichte der polnischen Justiz", berichtet Brussels Signal. Seine Worte klingen wie eine politische Botschaft: "Es ist ein Signal an Deutschland, daß das Recht immer auf der Seite der Verletzten stehen sollte – und nicht als Werkzeug für größere Interessen mißbraucht werden darf."
Der Ukrainer, ein erfahrener Taucher, war Ende September nahe Warschau festgenommen worden – unter den Augen deutscher Agenten. Er bestreitet die Vorwürfe und erklärte im polnischen Fernsehen, er habe "mit der Zerstörung von Nord Stream nichts zu tun".
Polens Premier Donald Tusk lobte das Urteil öffentlich: es habe "zurecht" die Auslieferung verweigert. "Der Fall ist erledigt", schrieb er auf X – obwohl das Urteil noch anfechtbar ist.
Tusk rechtfertigte die Entscheidung mit deutlichen Worten: nicht die Sprengung, sondern der Bau der Pipeline sei das eigentliche Problem.
Deutschland hingegen hält sich zurück: Außenminister Johann Wadephul erklärte, er respektiere "das Prinzip der Gewaltenteilung" – mehr nicht.
Während Ungarn von einem gefährlichen Präzedenzfall spricht, sieht sich Polen als Verteidiger der Ukraine. Auch Italiens Oberstes Gericht stoppte Mitte Oktober vorerst die Auslieferung eines weiteren Ukrainers an Deutschland. Er soll ebenfalls in die Nord-Stream-Sabotage verwickelt sein – das Verfahren wird nun neu geprüft.
Polen und Ungarn befinde sich seit Rußlands Invasion in der Ukraine auf Konfrontationskurs. Warschau hat sich seit Kriegsbeginn klar auf die Seite Kiews gestellt, bezieht Gas aus Norwegen über die Baltic Pipe und lehnt Nord Stream seit Jahren ab. Der jetzige Außenminister Sikorski hatte das Projekt bereits 2006 mit dem Hitler-Stalin-Pakt verglichen.
Ungarn hingegen bleibt bei russischem Öl und Gas – und pflegt eine enge Energiepartnerschaft mit Moskau. Auch das ungarische Atomprogramm wird weiterhin mit russischer Hilfe betrieben.