Linux entfernt russische Entwickler
Vor einigen Tagen veröffentlichte Greg Kroah-Hartman eine Nachricht auf der Kernel-Mailingliste, in der er bekanntgab, daß einige "Einträge aufgrund verschiedener Compliance-Anforderungen" entfernt werden. Hinter diesen "Einträgen" verbergen sich Entwickler und Maintainer verschiedener Subsysteme des Kernels, die größtenteils eine russische E-Mail-Adresse haben oder in anderer Art und Weise mit Russland verbunden sind. Die Entfernung betrifft lediglich die Maintainer, ihr bisheriger Code bleibt im Kernel. Eine persönliche Kontaktaufnahme der Betroffenen fand nicht statt.
Eine Erklärung, was hinter diesen "Compliance-Anforderungen" steht, lieferte der Eintrag nicht, lediglich den Hinweis, sie könnten "in Zukunft wieder aufgenommen werden, wenn ausreichende Unterlagen vorgelegt werden". Ob das jemand der Betroffenen nach der Art und Weise dieses Rauswurfs möchte, sei dahingestellt.
Wie nicht anders zu erwarten war, fragten im Anschluß Teilnehmer der Mailingliste nach einer Erklärung, was hinter dieser Maßnahme stecke. Auch Betroffene wie etwa Serge Semin meldeten sich zu Wort und kritisierten das Vorgehen. Gestern schaltete sich Linus Torvalds wenig gefühlvoll mit der Überschrift "OK, es sind viele russische Trolle unterwegs" in die Diskussion ein.
Er fuhr fort: "Es ist völlig klar, warum die Änderung vorgenommen wurde, sie wird nicht rückgängig gemacht, und die Verwendung mehrerer zufälliger anonymer Konten, um zu versuchen, sie durch russische Troll-Fabriken zu entkräften, wird nichts ändern."
Im nächsten Satz wird dann klar, daß es um Sanktionen gegen Russland wegen des anhaltenden Kriegs gegen die Ukraine geht, die die Linux Foundation als Arbeitgeber von Torvalds und Kroh-Hartman umsetzen muß. Da stellt sich die Frage, warum das gerade zu diesem Zeitpunkt passiert. Abschließend gibt Torvalds dann noch eine Absage an den oder die Einsender eines Patches, um den Rauswurf rückgängig zu machen: "Um mir einen Revert-Patch zu schicken, benutzen Sie bitte den Brei, den Sie Hirn nennen. Ich bin Finne. Dachten Sie, ich würde die russische Aggression unterstützen? Offensichtlich mangelt es nicht nur an echten Nachrichten, sondern auch an Geschichtskenntnissen."
Insgesamt finden wir die Handhabung dieser Umsetzung staatlich auferlegter Sanktionen sowohl von Kroh-Hartman als auch von Torvalds sehr unsensibel. Hatte Kroh-Hartman geglaubt, eine solche Nachricht ohne eine Begründung würde kommentarlos hingenommen? Was Torvalds angeht, so finden wir die Aussage, daß die Kommentare hauptsächlich aus russischen Trollfabriken stammen, doch etwas zu einfach.
Update vom 26.10. 2024:
Die Entfernung russischer Maintainer von der Liste der Kernel-Entwickler schlug hohe Wellen und machte allen, die sich dessen bisher nicht bewußt waren, klar, daß die Weltpolitik auch Freie Software nicht ausschließt. Die Art und Weise, wie die Entfernung angekündigt und umgesetzt wurde, erscheint alles andere als ideal und befeuerte die Diskussionen um das Thema weiter.
Zunächst hatte Greg Kroah-Hartman, Torvalds Nummer Zwei, mit dem Hinweis auf "verschiedene Compliance-Anforderungen" die Entfernung von 12 Maintainern aus der Maintainer-Liste des Kernels kund getan. Die aufkommende Kritik an der Art und Weise der Umsetzung bügelte Torvalds zwei Tage später ziemlich barsch ab, was auch nicht zur Beruhigung der Gemüter beitrug.
Jetzt hat sich Linux-Entwickler-Urgestein James Bottomley zu Wort gemeldet und trägt weitere Informationen zum besseren Verständnis der Situation bei. Die offiziell ausgeschlossenen russischen Entwickler oder ihre Arbeitgeber stehen alle auf der SDN Liste (Specially Designated Nationals) der US-Ausländerbehörde OFAC. Diese Behörde veröffentlicht regelmäßig eine Liste ausländischer Personen und Unternehmen, bei denen festgestellt wurde, daß sie gegen die US-Sanktionen unter anderem gegen Russland, Syrien oder den Iran verstoßen. Die Grundlage bildet die Executive Order 14071 von Präsident Biden aus dem Jahr 2022.
Eine Zusammenfassung der Richtlinien, denen die Kernel-Entwicklung in dieser Sache unterliegt, lautet:
Zumindest bei einem Teil der entfernten Entwickler ist bekannt, daß sie für russische Unternehmen arbeiten, deren Erzeugnisse für die Kriegsführung Rußlands gegen die Ukraine eingesetzt werden könnten. Das trifft etwa auf Serge Semin zu, der seine Sicht der Dinge ausführlich kommentiert hat. Er arbeitete für den russischen Chip-Produzenten Baikal. Patches von Sermin für den Networking-Stack des Kernels wurden bereits vor 18 Monaten abgelehnt.
Die Tatsache, daß die Linux Foundation als Schirmherr des Kernels und Arbeitgeber von Linus Torvalds und Greg Kroah-Hartman in dieser Sache keinen Millimeter Spielraum hat, sollten sich einige der Kommentatoren im Netz einmal klarmachen. Es bringt nichts, den Untergang Freier Software und den Ausverkauf von Torvalds an die Regierung zu kritisieren. Es könnte sogar noch schlimmer kommen, denn die zuständigen Behörden könnten theoretisch auch die Entfernung der Patches dieser Personen fordern. Dann wäre der Schaden riesig.