Festplatten-Betrug: weitere Händler betroffen, erste Rücknahmen
Viele Menschen dürften in den vergangenen Tagen erstmals mit dem Festplattentool smartmontools in Berührung gekommen sein. Es dient etwa zur Ermittlung, ob eine neu gekaufte Seagate-Festplatte vielleicht doch nicht so ganz neu ist, wie der Händler versprochen hatte.
Die betroffenen Laufwerke geben zwar über eine Standard-SMART-Abfrage (Self-Monitoring, Analysis and Reporting Technology) eine Laufzeit von null Stunden (oder eben die Anzahl der Stunden seit dem Einbau) an, die erweiterten Diagnosewerte (FARM, Field Accessible Reliability Metrics) aber nennen die echte Laufzeit. Laut Zuschriften von Betroffenen liegen diese bei den betroffenen Festplatten zwischen 15000 und 50000 Stunden, im Mittel sind es über 25000 Stunden.
Die FARM-Werte lassen sich mit den smartmontools unter Linux, Windows und auch macOS mit dem Befehl smartctl -l farm /dev/sd[X]
ermitteln; auch Seagates Toolsammlung Seatools kann die FARM-Werte auslesen. Wir empfehlen zudem, auch die Informationen zur Garantiefrist über die Seriennummer auf der Seagate-Homepage abzufragen.
Mittlerweile melden sich viele Betroffene – nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus dem benachbarten Ausland. Die Liste der betroffenen Händler erweitert sich demnach um BAB Distribution, ctn-systeme und einige Amazon- und Ebay-Händler, aus der Schweiz kommt Digitec-Galaxus hinzu, aus Österreich DiTech & e-tec und der Luxemburger Ableger von Alternate wird ebenfalls genannt. Selbst große Systemhäuser wie Bechtle und Wortmann sollen betroffen sein. Ein Betroffener stammt sogar aus den USA: ein Kunde dort erwarb seine Platte bei dem amerikanischen Online-Marktplatz Newegg.
Wir gehen davon aus, daß weder Seagate noch die Händler ein Interesse haben, den Kunden gebrauchte Laufwerke zu verkaufen. Die Platten werden vermutlich irgendwo in die Distribution eingeschleust.
Einige Händler haben bereits mit der Rücknahme der Laufwerke begonnen. Teils wollen sie die Laufwerke austauschen, teils nur die Kosten erstatten. Wir empfehlen bei einem Austausch – und auch bei einem Neukauf bei anderen Händlern – vor dem Auspacken der Festplatte aus der Antistatikverpackung die Seriennummer des Laufwerks auf der Seagate-Homepage zu überprüfen. Auch das Produktionsdatum (DOM, Date of Manufactoring) lässt sich durch die Hülle ablesen. Sofern dieses bereits mehrere Jahre zurückliegt, sollte dies zur Vorsicht mahnen.
Die Problematik betrifft hauptsächlich Exos-Festplatten mit 16 Terabyte Speicherkapazität der Modellreihen ST16000NM000J und ST16000NM001G. Zusätzlich wurden Fälle bei 12-Terabyte-Modellen sowie vereinzelt bei Laufwerken mit 4, 10 und 18 Terabyte dokumentiert. Bei der Überprüfung des Garantiestatus zeigte sich, daß es sich meist um OEM-Laufwerke handelt. Diese unterliegen lediglich der gesetzlichen Gewährleistung des Händlers, nicht aber der Herstellergarantie. Stichproben ergaben Garantie-Enddaten im Jahr 2026, was bei einer fünfjährigen Garantielaufzeit auf ein Alter von 3 - 4 Jahren hindeutet. Die Herkunft der gebrauchten Festplatten bleibt unklar. Seagate kann aus Datenschutzgründen keine Angaben zur Lieferkette machen. Nicht einmal das ursprüngliche Verkaufsland lässt sich ermitteln.
Statement des Herstellers
Seagate hat inzwischen eine offizielle Stellungnahme herausgegeben:Um ein mutmaßlich falsch deklariertes Seagate-Laufwerk zu melden, können Sie sich an die Ethik-Helpline von Seagate wenden."
Viele Onlinehändler haben in den vergangenen Wochen Seagate-Festplatten als neu verschickt, die bereits viele, viele Stunden irgendwo gelaufen sind. Noch unbekannte Betrüger hatten die SMART-Werte gebrauchter Laufwerke zurückgesetzt und sie über ebenfalls noch unbekannte Wege wieder in die Distribution eingeschleust. Auch offizielle Seagate-Händler sind davon betroffen.
Server-Festplatten von Seagate protokollieren jedoch noch an anderer Stelle ihre Laufzeiten und andere Parameter: die sogenannten FARM-Werte können die Betrüger (noch?) nicht zurücksetzen (FARM steht für Field Accessible Reliability Metrics). Diese lassen sich ebenfalls mit den smartmontools oder den Seatools von Seagate auslesen. Im Durchschnitt sind die betroffenen Laufwerke rund 25000 Stunden in Betrieb gewesen.
Es sind jedoch nicht nur deutsche Kunden betroffen. Es liegen Meldungen aus der Schweiz, Österreich, Luxemburg, Großbritannien und Tschechien sowie den USA vor. Der Onlinehändler East Digital aus Hongkong soll ebenfalls solche Laufwerke verschicken. Mittlerweile sind die Platten bei ihm ausverkauft, anscheinend aber hat er des Öfteren solche "Sonderangebote" im Programm. Wir haben auch Foreneinträge von australischen East-Digital-Kunden gesehen, die nun ebenfalls hohe Laufzeiten bei den FARM-Werten feststellen müssen.
Woher die Platten stammen und wie sie nach Deutschland kamen, ist bislang ungeklärt. Allerdings sollen derzeit in China sehr viele solcher gebrauchten Laufwerke im Angebot sein. Diese könnten aus ehemaligen Rechenfarmen für die Kryptowährung Chia stammen, die nun abgeschaltet werden, nachdem sich das Farmen solcher Coins nicht mehr trägt: die Energiekosten liegen mittlerweile über dem zu erwartenden Gewinn.
Der verfügbare Speicherplatz in diesem Netz lag anfangs bei nur wenigen Exabyte, stieg aber später stark an. Seit dem Sommer 2024 sinkt der Speicherplatz im Chia-Netz, und zwar von damals rund 34 Exabyte auf nunmehr noch rund 19 Exabyte. Der Verlust von rund 15 Exabyte entspricht rund einer Million Festplatten mit 16 TByte Bruttokapazität. Diese werden nicht alle von Seagate stammen; der Hersteller hat am Festplattenmarkt jedoch aktuell einen Anteil von mehr als 40 Prozent. Es könnten ganz grob also mehr als 400000 gebrauchte Seagate-Laufwerke mit 16 TByte aus den Chia-Farmen ausgemustert worden sein.
Dazu passt die Nachricht eines Betroffenen in einem Forum. Auf seine Nachfrage hätte Seagate angegeben, daß seine Festplatte ursprünglich an ein chinesisches Unternehmen aus der Mongolei verkauft wurde. Die deutsche Vertretung von Seagate ist bei der Herkunft der Laufwerke nicht so aussagefreudig, man beruft sich auf den Datenschutz und versichert, daß das Unternehmen nicht in den Schwindel verwickelt sei.
Einige der Platten haben noch ein paar Monate Garantie, bei den meisten aber ist diese schon lange abgelaufen. Viele wurden als Teil eines größeren Systems verkauft – und damit als sogenannte OEM-Platte, für die der Hersteller keinerlei Garantie gibt. Wenn sie beispielsweise in einem Dell-System verkauft wurden, dann ist Dell für die Garantieabwicklung in diesem System zuständig, es ist quasi keine Seagate-Platte mehr.
Viele Nutzer haben sich, auch schon lange vor diesen Betrugsfällen, über die Praxis der Händler beschwert, OEM-Platten ohne Herstellergarantie zu verkaufen. Wir empfehlen daher, direkt nach Erhalt eines Laufwerks die Garantieabfragen der Hersteller aufzusuchen und den Status zu prüfen (Seagate, Toshiba, Western Digital). Die Seriennummer ist manchmal bereits auf der Rechnung vermerkt und ansonsten vor dem Öffnen der Antistatik-Verpackung durch diese lesbar; so lässt sich auch das Produktionsdatum erkennen. Liegt dieses einige Jahre in der Vergangenheit, ist Vorsicht angebracht und eine Rücksendung zumindest überlegenswert.
Update vom 07.02. 2025:
Die meisten Händler dürften erkannt haben, daß es sich um Betrug handeln könnte, auch wenn sie selbst nicht die Betrüger sind. Wir Mails mit einer Bitte um eine Stellungnahme an die uns bekannten Versandhändler geschickt. Die Rückmeldungen lassen hoffen, daß die Kunden nicht auf den Kosten sitzen bleiben. Bei allen Händlern, die sich auf unsere Anfrage hin äußerten, wurde der Verkauf der betroffenen Festplatten gestoppt.
Stellungnahmen der Händler:
- Alternate schreibt, dass sie die Ware von etablierten deutschen Lieferanten bezogen haben, mit denen sie schon länger eine Geschäftsbeziehung pflegen. Sie wurden nicht darüber in Kenntnis gesetzt, daß es sich bei den Produkten nicht um Neuware handelt. Auch ihre Vorlieferanten hätten nach deren Aussage keine Kenntnis darüber und die Ware als Neuware an Alternate verkauft. Betroffene Kunden sollten sich per Mail an seagate@alternate.de wenden; das Unternehmen bietet sowohl einen Austausch (bei Verfügbarkeit) als auch eine Rückerstattung an.
- Bechtle schreibt, daß in begründeten Fällen die gesetzliche Gewährleistung greife.
- CTN-System verfährt bei Reklamationen zweigleisig. Die Kunden könnten die Festplatten behalten und würden vom Händler eine 3- beziehungsweise 5-jährige Garantie erhalten, wie auf der Website ausgewiesen, oder sie bekommen gegen Rücksendung der Festplatte den Kaufpreis erstattet.
- Galaxus verweist auf seinen Kundenservice sowie auf eine Hilfeseite zu den Fällen.
- Kosatec prüft die Anfragen betroffener Kunden und will nach einer Prüfung schnellstmöglich eine Lösung für die Kunden finden. Händlerkunden sollen ein RMA-Ticket über den ihnen bekannten Weg öffnen.
- Maingau hat sich mit betroffenen Kunden in Verbindung gesetzt.
- Office Partner will die betroffenen Kunden vollständig entschädigen.
- Proshop-Kunden können die Festplatten kostenlos zurücksenden und erhalten auf Wunsch einen Ersatz (wenn möglich) oder eine vollständige Rückerstattung. Die Kunden sollten sich per Mail oder über das Kontaktformular auf der Website melden.
- Reichelt-Kunden können die betroffene Ware retournieren und erhalten den Kaufpreis zurück, auch ein Umtausch kommt bei Verfügbarkeit infrage.
- Wortmann will im Verdachtsfall das Laufwerk gerne überprüfen und abhängig vom Ergebnis reagieren.
Stellungnahme von Seagate:
Seagate hat inzwischen eine weitere offizielle Stellungnahme herausgegeben:
Seagate verfügt über Prozesse zur Untersuchung dieser Art von Fällen, bei denen Teams proaktiv mit unseren Händlern zusammenarbeiten, um bei Bedarf Maßnahmen zu ergreifen. Unser Sicherheitsteam arbeitet auch regelmäßig mit lokalen Behörden zusammen, um erforderliche Maßnahmen zu ergreifen. Viele Untersuchungen werden auf der Grundlage von anonymen Hinweisen und Berichten von Partnern und Kunden eingeleitet. Diese Maßnahmen sollen Seagate-Partner und Endkunden auf einem zunehmend globalen Markt schützen.
Wir ermutigen jeden mit dem Verdacht, ein gebrauchtes und als neu vermarktetes Laufwerk erhalten zu haben, bei der Untersuchung zu helfen, indem er uns den Vorfall direkt unter fraud@seagate.com meldet. Darüber hinaus können Kunden, die Zweifel haben, ob die von ihnen gekauften Produkte den Angaben der Verkäufer entsprechen, auf unser Tool zur Garantieprüfung zugreifen. Verdächtige Festplatten und/oder Verkäufer können auch anonym über unsere Ethik-Hotline gemeldet werden.
Wir sind dankbar für das Vertrauen unserer Kunden und sind entschlossen, alles Mögliche zu tun, um dieses Vertrauen aufrechtzuerhalten."